AGNES

von Peter Stamm

 

Agnes-Folie

© Andreas Jendrusch

Ein Schriftsteller sitzt zu Recherchezwecken für sein neues Sachbuch in der Universitätsbibliothek. Dort trifft er zufällig auf die junge Physikerin Agnes, die an ihrer Dissertation arbeitet. Ihre Blicke treffen sich, sie werden ein Paar und ziehen zusammen. Als sie erfährt, dass er früher Kurzgeschichten geschrieben hat, bittet sie ihn, ein Porträt über sie zu schreiben. Aus Spaß fängt er an, ihre gemeinsame Geschichte niederzuschreiben, beginnend mit diesem magischen Moment des ersten Augenkontaktes. ls er mit dem Schreiben in der Gegenwart ankommt, muss er jedoch feststellen, dass reines Glück keinen dauerhaft guten Stoff für eine Geschichte abgibt. Die Erzählung beginnt mehr und mehr den Alltag des Paares zu diktieren; sie wird zum Drehbuch ihres Lebens. Die Mischung aus Realität, Fiktion und emotionalen Konfikten entwickelt sich zu einem gefährlichen Spiel um Liebe und Dominanz.

Regie und Ausstattung: Katja Lillih Leinenweber
Dramaturgie: Andreas Jendrusch
Mit: Gabriel Spagna, Stefanie Friedrich

Die Premiere fand im November 2015 am Regionentheater in Simmersfeld statt.

 


PRESSESTIMMEN


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Schwarzwälder Bote vom 13.11.2015, M. Bernklau

„Die Ränge im Festspielhaus der Simmersfelder Kulturwerkstatt waren bei der Premiere des Regionentheaters bis auf den letzten Platz besetzt – mit besonders vielen jungen Zuschauern. Das hatte seinen Grund. Peter Stamms „Agnes“ war Abi-Thema und ist inzwischen gymnasialer Pflichtstoff. Die Bühnenadaption hielt sich eng an die Romanvorlage.
Das liegt ganz im Trend, bundesweit, nicht nur bei Abnobamons, dem Regionentheater aus dem Schwarzen Wald: erzählerische Werke (wie schon „Fräulein Smilla“) für die Bühne einrichten. Die Bochumer Gast-Regisseurin Katja Lillih Leinenweber und Theaterleiter Andreas Jendrusch haben das mit einem Roman getan, der sich besonders gut für ein Kammerspiel eignet, weil es nur um zwei Haupt- und allenfalls ein, zwei weitere Nebenpersonen geht. Das sind die Affären des Sachbuchautors und Erzählers, gespielt von Gabriel Spagna, und seiner Agnes. Stefanie Friedrich spielte neben der jungen Physikerin Agnes auch noch den Seitensprung Louise. Der zeitweilige Geliebte der Agnes wurde für die Bühnenfassung weggekürzt, schmerzlos.
Dramatiker ist schon ein eigener Beruf. Prosatexte fürs Theater einzurichten, erfordert Kniffe und birgt seine gewissen Risiken. Bei der Simmersfelder „Agnes“ trägt der Erzähler – Spiel im Spiel – eigene Texte vor. Manchmal hört man ihn und die Worte der jungen Frau auch aus dem Off. Von dort kommt auch atmosphärisch verdichtende Musik zwischen Rock, Pop und Jazz.
„Agnes ist tot. Eine Geschichte hat sie getötet.“ Das ist die raffinierte Grundlage des Romans von Peter Stamm. „Er“, der etwas ältere und wenig engagierte Sachbuchautor, will seiner jungen Physik-Doktorandin, Freundin und schließlich Frau ein erzählerisches Porträt schaffen und widmen. Sie darf mitarbeiten, Wünsche äußern, Korrekturen verlangen. Parallel zum wirklichen Geschehen vom kennenlernen, verlieben, zusammenziehen, heiraten, fremdgehen, streiten, ein Kind empfangen und wieder verlieren, spinnt er seine Geschichte weiter zu einem wahlweise guten oder schlechten Ende. Fatalerweise wird die Vision des bösen Endes am Schluss wahr. Erzählte Geschichte und erzählte Wirklichkeit fallen in eins. Agnes wählt den sanften Freitod des Erfrierens.
So viel bühnenreife Action ist nicht in diesem Stück. Agnes rastet hin und wieder aus, schleudert Papier oder Herbstlaub in der Gegend herum. Das Paar findet eine Tote auf dem Trottoir. Agnes klappt in eben jenem Nationalpark (schöne reale Schwarzwald-Anspielung!) zusammen, über den „Er“ sein Sachbuch geschrieben hat. Die geile Louise nimmt sich den verlassenen Autor in seiner bunten Hawaii-Unterhose vor. Die Darsteller Stefanie Friedrich und Gabriel Spagna haben viel zu philosophieren und müssen viel Literarisches reden, statt sich der dramatischen Sprache von Bühnenmenschen aus Fleisch und Blut hingeben zu dürfen. Sie tun das gut. Es wird nie ganz papieren aufgesetzt, auch nie langweilig. Und das sparsam Szenische nutzen sie mit nuancierter schauspielerischer Klasse.
Reduziert auf Wesentliches und Symbolhaftes sind auch das Bühnenbild – ein Raum aus Holzlatten und ein weißer Schreibtisch, der auch als Lotterbett zu dienen hat –, die Kostüme und die paar nötigen Requisiten. Abnobamons-Co-Leiterin Birgit Heintel hatte die knappe Bildsprache bei dieser Inszenierung von Katja Lillih Leinenweber zu verantworten. Trotz aller Verkürzung und Beschränkung gelang es allen, diesem etwas verkopften Stamm-Konstrukt, das mit seinem raffinierten schematischen Formalismus jedes Deutschlehrer-Herz erfreuen muss, eine Menge Leben und Spannung abzugewinnen.
Das spürte auch das überwiegend junge Premieren-Publikum jenseits allen praktischen Nutzens für schulische Zwecke ganz deutlich. Es ließ sich in den Bann dieses verhängnisvollen Paar-Dramas ziehen. Denn trotz allen literarischen Theoretisierens sind schon in der Vorlage viele der Themen sehr zeitlos dem Leben verbunden: eine Liebe zwischen älterem Mann und jüngerer Frau, Missverstehen, Kinderwunsch, Schwangerschaft und Abtreibung, Fremdgehen, Trennen, Versöhnen, Verzweifeln. Und schließlich der Tod. Das lässt sich darstellen.
Es gab langen Beifall für diese sehr stilisiert geschlossene, aber auch sehr lebensechte, jedenfalls an größtmöglicher Lebensnähe interessierte Bühnenfassung des kühl konstruierten „Agnes“-Romans von Peter Stamm.“